Die Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn war schon immer ein Traum. Vielleicht in der Pension dachte ich, jetzt im August 2017 hatte ich aber die Gelegenheit und nutzte sie! So begaben wir uns auf den Weg und folgten den Spuren von Tolstoj, der die legendäre Zugfahrt in seinem imaginärem Roman Anna Karenina bereits vor 150 Jahren beschrieb.
Die Reise hätte eigentlich im August in Peking beginnen sollen. Aber sie begann bereits zu Hause. Im Januar starteten wir mit der Planung von unzähligen Details. Wir durchstöberten das Netz nach den besten Flügen, den besten Verbindungen usw. Stück für Stück bis hin zu unserer Abreise.
Maria kümmerte sich um die Detailplanung der Städte Tokio, Kyoto, Nara, Peking, Moskau und
St. Petersburg, und ich setzte mich mit der Buchung der Logistik auseinander. Buchte Flug für Flug und die jeweils passenden Unterkünfte und plante unsere Aufenthalte in Okinawa, Taiwan, Ulan Bator, Tergej Nationalpark, Irkutsk und den Baikalsee. Für Macau und Hongkong hatten wir ein Reisebuch und sammelten weiter Informationen direkt vor Ort.
Aber eigentlich ist das Thema dieses Reiseberichts die Transsibirische Eisenbahn!
Von Peking nach Ulan Bator – Die Fahrt beginnt
Der erste Kontakt mit unserem Zug war am Vorabend unserer Abreise. Wir spazierten von unserem Hutong Hostel in Peking Richtung Bahnhof. Ein großes stattliches Gebäude. Um Tickets zu kaufen mussten wir die Sicherheitskontrolle mit den Metalldetektoren durchschreiten. Mittlerweile ein gewohntes Bild in China. Von den 20 Schaltern war aber nur ein einziger mit einem englisch sprechenden Personal besetzt. Wir kamen aber nicht hierher um Tickets zu kaufen, die hatten wir schon! Die wurden am Tag unserer Ankunft in unser Hostel geliefert. Wir wollten uns bloß ein wenig umsehen, und sicher zu stellen, dass alles klappt am Abreisetag. Auf der großen Anzeigentafel sahen wir bereits die Abfahrtszeit unseres Zuges, leider nur auf chinesisch. Wir machten ein paar Fotos und verglichen dann die Daten mit unseren Tickets – jawohl passt!
Am nächsten Tag ging es endlich in die Bahnhofshalle. Es war egal durch welches Tor wir schritten, alle Passagiere hatten eine Fahrkarte und einen Reisepass vorzuzeigen. Als wir unseren Warteraum erreichten, änderte sich das Bild. Keine am Boden sitzenden Menschen mehr, mit zerzaustem Haar und ungepflegtem Äußeren. Ok wir sind immer noch in China, es war immer noch laut, eine Kakophonie von Tönen und Geräuschen. Den Unterschied machten aber die vielen europäischen Rucksacktouristen aus. Ich weiß nicht woher die gekommen sind, in der Stadt selbst haben wir kaum welche gesehen. Die große Anzeigetafel war nun auch in Pinyin geschrieben, sodass wir uns mit der Orientierung wesentlich leichter taten. Es gibt sogar ein Bordinggate wie auf einem Flughafen, wo wir wiederum Pass und Ticket vorzeigen mussten, bevor wir schließlich den Bahnsteig erreichten. Es ist ein riesiger Bahnsteig im großen Stile des neuen chinesischen Kapitalismus.
Es ist ein gewisses Kribbeln im Bauch zu spüren. Die Reise startet in kürze! Wir wissen dass wir unsere Kabine mit zwei weiteren Passagieren teilen müssen. Wir entschieden uns absichtlich für einen „hard sleeper“ Wagon. Ich schaute mich um und blickte in die verschiedenen Gesichter am Bahnsteig. Wer wird wohl in kürze das Abteil mit uns teilen?
Es sind zwei Australierinnen, die das erste Abtei mit uns teilen. Sie kommen aus Brisbane und fahren mit uns bis nach Ulan Bator. Dort möchten sie eine Tour durch die Wüste Gobi machen. Wir hingegen möchten die Stadt kennenlernen und in den Tergelj Nationalpark fahren. Unsere Wege werden sich also bald schon wieder trennen. Unterdessen haben wir genügend Zeit Informationen über unsere Reisen auszutauschen. Marie hatte einen Mongolei Lonely Planet Reiseführer dabei. Wir lasen abwechslungsweise darin. Alison war nicht so gesprächig, eher zurückhaltend. Trotzdem erzählte sie uns dass sie bereits Europa und Portugal bereist hat und eines Tages wieder kommen möchte.
In unserem Wagon befand sich auch eine 14-köpfige Reisegruppe, bunt gemixt aus allen Herren Länder (u.a. Australien, Kanada, USA, Deutschland). Aufgefallen ist uns dabei eine ältere Dame mit weißem Haar, die wir schon einmal getroffen haben – in Mutianyu, auf der chinesischen Mauer.
Spät in der Nacht erreichten wir die Grenze. Die Reisepässe werden kontrolliert und eingesammelt. Etwa zwei Stunden später das gleiche Prozedere auf mongolischer Seite. Dann wurde es spannend. Da in China die Züge mit einer anderen Spurbreite unterwegs sind, mussten hier für jeden einzelnen Wagon die Fahrgestelle gewechselt werden. In einer riesigen Halle wurden die Wagons mittels einer spezieller Hebebühnen angehoben. Die neuen Fahrgestelle unter dem Zug reingefahren, montiert und schon waren die Wagons umgestellt. Für die hiesigen Arbeiter eine routinemäßige Arbeit, wir hingegen schauten fasziniert zu.
Von Ulan Bator nach Irkutsk
Am Morgen wachten wir bereits mitten in der Mongolei auf. Wir passierten tiefgrüne Landschaften, Frühling und Sommer sind komprimiert in nur einem Monat. Und es ist ungewöhnlich regnerisch in diesem August. Nach großartigen Erlebnissen in der Mongolei kehrten wir nach vier Tagen zum Zug zurück. Wir verließen Ulan Bator mit dem Gefühl, dass die Zeit wie im Flug verging.
Der Grenzübertritt nach Russland war nicht für alle Passagiere einfach. Ein Amerikaner, einer von der Reisegruppe, musste verdutzt feststellen dass sein Visum das falsche Datum hatte. Im Pass war Juli statt August eingetragen. So musste er umkehren und in der Mongolei ein neues Visa besorgen. Seine Reiseführerin versuchte zu schlichten, da war aber nix mehr zu machen. Sie gab ihm noch einige Anweisungen was zu tun ist, und wo und wann man sich wieder treffen könnte. Dann hatte er den Offiziellen zu folgen. Die Reiseführerin sagte ihm, dass sie das Problem bald gelöst haben werden, und er sich keine Sorgen machen sollte. Ein schwacher Trost. Ich fühlte mit ihm.
Wir haben nun mit Katerina und Valeria zwei neue Abteilgenossen, russisch und italienisch. Sie erzählten uns von ihren Plänen und das sie den Zug in Ulan Ude wieder verlassen werden. Wir hatten eine kleine Hoffnung, dass wir dann zumindest für eine Nacht das Abteil für uns alleine hätten. Das war aber leider nicht der Fall. Wir unterhielten uns zuerst mit den belgischen Abteilnachbarn, als neue Leute zustiegen. Der erste war ein junger Mann asiatischer Herkunft, der zweite ein Riese, mit einer Warze auf der Nase und schwerem Atem. Er hatte permanentes Muskelzucken am Rücken und als er sich hinsetzte und die Arme verschränkte, schaute er aus wie ein Gorilla der zum Angriff bereit ist. Es schien unmöglich zu sein dass wir alle vier in diesem kleinen Abteil genug Platz fänden, da er mit seiner korpulenten Erscheinung den ganzen Raum füllte. Er schlief in seinem Alltagsgewand, tief und laut. Wir leider nicht. Es ist wie ein Donnerschnarchen.
Ein Alptraum wird zur Realität, selbst Ohropax können den Klang nicht verstummen lassen.
Mitten in der Nacht fängt er auch noch an mit der Faust auf den Tisch zu hauen – das ist nun endgültig zu viel. Maria wechselt die Position im Bett und erst im Morgengrauen gewinnt allmählich die Müdigkeit Oberhand und wir schliefen doch noch gut zwei Stunden.
Von Irkutsk nach Moskau – Drei Tage nonstop im Zug
Wir verließen den Zug nun in Irkutsk in den frühen Morgenstunden und kehrten drei Tage später zurück. Diesmal ohne weiteres Etappenziel, wir fuhren direkt nach Moskau. Das hieß vier Nächte und drei Tage im Zug. Wir verließen Irkutsk um 23:58 Uhr (Ortszeit), nach Moskauer Zeit war es 18:58 Uhr. Alle Zugfahrpläne werden in Moskauer Zeit angezeigt, macht Sinn in einem Land mit so vielen verschiedenen Zeitzonen. Das sind nun die ersten Tage der Entspannung. Die Beine hochlegen und mal nix machen. Ich fasse die Kosten und Logistik unserer Reise zusammen, bearbeite meine Kamera und versuche das eine oder andere Sudoku Rätsel zu lösen. Das alles ohne jegliche Eile oder Stress. Auch versuche ich Maria das Jassen beizubringen, Karten hatte ich ja dabei.
Wir sahen zu wie sich die Landschaft auf der über 5.000 km langen Strecke allmählich veränderte. Die sibirische Tundra, unzählige Birkenwälder, Pappeln und die Wolga, die hier mehr wie ein See als ein Fluss aussieht. Wir passierten Städte und kleine Dörfer. In den Städten waren entlang der Bahnlinie kilometerweise Garagen zu sehen. Sie gehörten zu den angrenzenden Wohnblocks und wurden zu Sowjet Zeiten errichtet. Dort war nicht genügend Raum vorhanden um Kartoffeln, Zwiebeln und dergleichen zu horten. Auch die guten alten Ladas waren hier gut aufgehoben.
Mich überraschte aber auch die Vielzahl von Datschen (Schrebergärten) entlang der Bahnstrecke. Viele sehr einfache Hütten, manche mit Gewächshäusern, bereit für den langen, harten Winter. Was aber überall zu sehen war – ein Meer aus Blumen. Wie am Baikalsee in Olgas Haus. Die Reise ist diesmal mehr introspektiv. Wir sind nun nicht mehr in der Lage mit den verschiedenen Mitreisenden in unserem Abteil zu kommunizieren.
Unsere Zugbegleiterinnen sind Freunde, jedoch mit zwei ganz unterschiedlichen Gesichtern. Die eine hat die charakteristischen Merkmale einer russischen Frau, die andere scheint mongolischen Ursprungs zu sein. Das ist ein weiterer Aspekt der mich auf dieser Reise überrascht. Die Vielfalt der unterschiedlichsten Gesichter die auf unserem Planeten leben. Plötzlich sehe ich mit dem geistigen Auge Bilder, Bilder von einer russisch-orthodoxen Kirche. Wobei das Gesicht von Jesus in verschiedenen Schattierungen zu sehen ist. Die Namen der Orte die wir passieren sind manchmal ganz lustig. Atschinsk, Barabinsk, Tschita.
Oft bleibt der Zug in diesen Städten für nur 2-3 Minuten stehen, manchmal aber auch länger. Dann ist es sogar möglich auf den Bahnsteig zu gehen oder wenn es mehr als eine halbe Stunde ist, kurz auch mal raus in die Stadt zu laufen um in den hiesigen Läden Proviant einzukaufen. Ich verließ den Zug in Nowosibirsk, der Hauptstadt Sibirien um shoppen zu gehen. Mittlerweile haben unsere Mitbewohner den Zug verlassen. So haben wir das Abteil für einige Zeit nur für uns. Wie in der ersten Klasse! Wir haben Platz zu sitzen und genießen diese Momente.
Mitten in der Nacht, beim Stopp in Jektarienburg, steigt ein neuer Fahrgast ein. Ein junger Russe, der für eine Ölfirma tätig ist und Englisch spricht. Er ist überrascht, Ausländer in dem Zug anzutreffen und konnte uns ein wenig über Russland, sein Land, erzählen. Er erzählt uns das er Portugal kennt, die Sprache aber sehr differenziert ist gegenüber spanisch. Er hat glaube ich aber nur rudimentäre Kenntnisse.
Ich stürzte mich ins nächste Sudoku, ging ab und zu mal den Korridor auf und ab um mir die Beine zu vertreten. Dabei passieren wir immer noch Birkenwälder und die Weite Russlands. Das Weiß der Birken scheint im Sonnenuntergang unwirklich zu sein, es gelingt mir nicht diese spezielle Stimmung in Bildern festzuhalten. Von Zeit zu Zeit kommen wir durch kleine Dörfer oder Städte, in denen die Häuser immer noch im ursprünglichen Stil errichtet wurden. Das traditionelle russische Holzhaus hat immer noch einen besonderen Charme. Ich konnte erkennen wie sie gebaut wurden. Es dominiert Massivholz, die äußeren Holzverkleidungen dienen dabei als Wärmeschutz. Auch zeigten die Bauherren Liebe zum Detail. Die oft bunt angemalten Häuser wurden mit geschnitzten Fensterverzierungen verschönert. Der Eingang verfügt über einen Vorraum mit zwei Türen. Erstens als Windfang, zweitens werden hier die Schuhe ausgezogen! Wir erlebten so ein Haus in Listyvanka am Baikalsee, bei Olga. Der Fußboden ist beheizt, man trotzt den kalten Temperaturen draußen. Und es ist in der Tat möglich sich innen, nur mit T-Shirt bekleidet, aufzuhalten.
Im letzten Teil unserer Reise können wir noch ein Ehepaar aus Kazan in unserem Abteil willkommen heißen. Sie sind sehr nett, sprechen aber nur russisch. Die Frau packt einige Pastetchen aus und teilt sie umgehend mit uns. Eine russische Durchsage blieb mir bis heute im Ohr hängen: „Ovageame passagiere“……das wars. Pünktlch um 4:42 trudeln wir am Moskauer Kazanskaja Bahnhof ein!
Ein besonderes, unvergessliches Erlebnis, einmal im Leben mit der Transsibirischen Eisenbahn gefahren zu sein.